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27.01.2025

Rede der Ersten Bürgermeisterin zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

wir stehen heute hier, um innezuhalten, uns an den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor genau 80 Jahren zu erinnern und gemeinsam der vielen Millionen Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Dieser Tag ist ein Tag des Nachdenkens – über das, was war, was ist und, vor allem, was sein wird!

„Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen,“ betonte der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog, dem ich unumwunden zustimme und in bin der Meinung, dass es nicht nur unsere Pflicht ist, diesem Aufruf zu folgen, sondern unsere dringlichste Verantwortung, die wir für uns und alle kommenden Generationen übernehmen müssen. Und es liegt in unserer Hand, eine Erinnerungskultur zu schaffen und sorgsam zu pflegen, die nicht erstarrt, sondern lebendig bleibt.

Die Vergangenheit muss unser Lehrer sein und auch immer bleiben – wir schulden den Opfern der nationalsozialistischen Barbarei nämlich weit mehr als nur ein reines Schuldbekenntnis. Was wir als heutige Gesellschaft wirklich schulden, ist der feste Entschluss, Lehren aus der Geschichte zu ziehen, sie zu verinnerlichen und sie mutig zu verteidigen – immer und überall.

Richard von Weizsäcker hat es treffend formuliert: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“ Seine Worte erinnern uns daran, dass das, was wir heute tun – oder unterlassen – unmittelbare Auswirkungen auf die Zukunft hat.

Meine verehrten Damen und Herren, wir blicken heute auf eine Welt, in der Demokratie und Frieden an viel zu vielen Orten bedroht sind. Wir müssen mitansehen, wie Desinformation, Polarisierung und Hass erneut an Einfluss gewinnen und sich langsam in das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft zu fressen drohen. Erschreckend ist, dass auch die Tragödien der Nazizeit, deren Anfänge lange vor 1933 zurückreichen, aus einem ähnlichen toxischen Nährboden von Intoleranz und Hetze geboren wurden.

In den 1920er Jahren sah sich Deutschland nicht nur mit wirtschaftlichen und sozialen Turbulenzen konfrontiert, sondern auch mit politischen Strömungen, die begannen, die demokratischen Grundlagen des Landes zu untergraben. Der französische Schriftsteller und Politiker Romain Rolland brachte treffend zum Ausdruck: „Die Lügen dieser Welt, die gegen die Menschheit sprechen, beginnen meist im Verborgenen.“

Diese Worte reflektieren die damalige politische Unsicherheit und erinnern uns schmerzhaft daran, dass ein kollektives Vergessen der Vergangenheit unweigerlich zu deren Wiederholung führen kann. Unsere gegenwärtigen Herausforderungen sind nicht weniger bedrohlich – ganz im Gegenteil: Auch wir leben in wirtschaftlich und politisch unsicheren Zeiten. In Zeiten, die zunehmend von politischer Polarisierung und dem Wiederaufleben extremistischer Ideen geprägt sind.

Und ich finde es wahrhaft beunruhigend, wie rechtsextreme Rhetorik und nationalistische Parolen langsam wieder mehr und mehr an Resonanz gewinnen – nicht allzu anders als in der Vorzeit vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Wenn wir nicht auf der Hut sind, steht unsere Demokratie einmal mehr vor der Gefahr, ausgehöhlt zu werden. Meine verehrten Damen und Herren, dies alles mahnt uns eindringlich, dass die Gefahren von damals auch heute existieren – nur in neuen Gewändern.

Und wir müssen uns heute ehrlich fragen: Haben wir aus der Geschichte gelernt? Haben wir wirklich begriffen, dass der Frieden, den wir heute so selbstverständlich genießen, kein Zufall ist, sondern eine wertvolle und zerbrechliche Errungenschaft, die wir täglich aufs Neue verteidigen müssen?  Unsere Antwort auf diese Fragen darf nichts Anderes als ein klares „Ja“ sein!  Aber ein Ja allein genügt nicht. Es braucht Engagement, es braucht Wachsamkeit und es braucht Mut! Die Demokratie, die uns das Fundament für ein freies und menschenwürdiges Leben bietet, ist kein Naturgesetz. Sie ist ein sehr fragiles Gut, das mit Überzeugung und Tatkraft gestützt und geschützt werden muss.

Und wir sollten uns tatsächlich die Frage stellen: Was wird 2033 sein, ein volles Jahrhundert nachdem die Nationalsozialisten ihre tödliche Schreckensherrschaft antraten, wenn wir jetzt nicht entschlossen handeln? Die Antwort liegt, wie ich meine, allein in unserem Engagement für eine lebendige und aufrichtige Erinnerungskultur, die nicht nur von Schuld und Schrecken, sondern vor allen Dingen auch von Hoffnung geprägt ist. Hoffnung darauf, dass wir 2033 gemeinsam im Denken viel weiter sein werden – dass wir als Menschheit ein für alle Mal verstanden haben, dass Krieg, Gewalt, Tod und Vertreibung niemals Lösungen, sondern stets nur Katastrophen sein können. Dass wir die Sinnlosigkeit solch menschenverachtender Grausamkeiten so klar erkannt haben, dass niemand mehr ernsthaft darüber nachdenkt, diesen zerstörerischen Weg erneut zu beschreiten. Hoffen wir darauf – und stehen wir gemeinsam dafür ein!

Konrad Adenauer hat einmal gesagt: „Geschichte ist die Summe der Dinge, die man hätte vermeiden können.“ Diese Worte mahnen uns, dass Gedenken immer auch Handeln bedeutet. Übernehmen wir die Verantwortung dafür, dass die Stimmen der unschuldigen Opfer niemals verstummen und die Lehren aus ihrer Geschichte zum Kompass für unsere Zukunft werden!

Lassen wir uns nicht täuschen von den leisen Tönen der Intoleranz oder den lauten Stimmen des Hasses. Lassen wir uns inspirieren von den Idealen, die uns Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit lehren. Nutzen wir diesen Gedenktag, um uns zu besinnen – auf unsere Werte, auf unseren Mut und auf die Entschlossenheit, die es braucht, um nie wieder wegzusehen. Die Katastrophe des Nationalsozialismus darf sich nicht wiederholen! Und Sie wird sich nicht wiederholen – nicht, wenn wir alle unsere Verantwortung ernst nehmen und Frieden, Freiheit, Toleranz und Demokratie verteidigen!

 

In diesem Geist gedenken wir heute der Opfer und nehmen uns selbst beim Wort, ihre Geschichte weiterzutragen – für ein von Menschlichkeit geprägtes Morgen, das nichts als Frieden verdient.

 

Vielen Dank.

 

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