Erste Liebe auf der Rentner-Rennstrecke
INTRO: Sie hören den Erlebnisweg EndeGAP, Station 4: Erste Liebe auf der Rentner-Rennstrecke
TON: Kinder rufen durcheinander, haben Spaß
Wir befinden uns unterhalb der Kriegergedächtniskapelle, an einem der schönsten Abschnitte des sonnigen Kramerplateaus mit dem herrlichen Panorama auf Tal und Berge. Psst, mal ganz unter uns: Dieser Kramerplateauweg, so schön er ist, wird heutzutage gern als „Rentner-Rennstrecke“ bezeichnet. Das war aber nicht immer so! Denn Anfang 1944 wird Michael Ende in das Haus Roseneck in der Partnachstraße 12 „strafversetzt“. In diesem Winter verliebt er sich in eine fabulöse Skifahrerin aus dem Nachbargebäude, genannt die „Kochelberg-Musch“. Als sich allerdings bei einem ersten Gespräch herausstellt, dass sie schon ein Jahr älter ist als er, da lassen es beide ganz schnell wieder bleiben mit dem Anbandeln. Doch auch im Haus Roseneck selbst gibt es ein hübsches Mädel. Die Hotelbesitzerfamilie Keltsch wohnt mit ihrer Tochter Gudrun im dritten Stock. Und da kommt der Neuzugang gerade recht: Der nette Gymnasiast soll Gudrun Latein-Nachhilfe geben. Aber lassen wir sie selbst erzählen, wie das ablief – und was sich hinterher alles so am Kramerplateauweg abspielte!
Originalaufnahme Gudrun Guizzardi: „Ich kam heim mit meinen Hausaufgaben, hab die Hausaufgaben abgeschrieben auf einen Zettel, und hab sie da auf den Stufen unter den Teppich geschoben (lacht) und da hat der die rausgezogen, hat mir die Hausaufgaben gemacht, und am Abend habe ich sie mir abgeholt und schön wieder in mein Heft reingeschrieben, also das war ein kleiner Betrug (…) Er muss damals so um die fünfzehn rum gewesen sein und ich war so vierzehn ungefähr. Was mir gefallen hat, war eben, weil er, weil man sich fantastisch mit ihm unterhalten konnte. Wir waren oft, wir sind oft zusammen spazieren gegangen am Kramerplateauweg, auch oben auf dem Kramerplateau. Wo gehen heute die jungen Leute hin? Auf den Kramerplateauweg. (…) Ich durfte ja nur – ich hatte ja große Schwierigkeiten, damals überhaupt wegzugehen. Man war ja damals als Mädchen sehr betreut. Aber da meine Familie die Ende-Familie kannte, war das der einzige, mit dem ich überhaupt rausgehen durfte. (Lacht dreckig) Ja, das ist ein anständiger Junge, mit dem kannst du ruhig gehen!“
Abgesehen von den bedrückenden weltgeschichtlichen Umständen hat Michael Ende jetzt also doch noch eine schöne Zeit in Garmisch-Partenkirchen. Er kommt gut an, bei den Mädchen und überhaupt. Die Begeisterung der anderen Kinder bestärkt ihn. Kreativ sein, Worte jonglieren, Geschichten erfinden und damit den Alltag verzaubern – er ist auf dem richtigen Weg. Doch Ende 1944 gehen Hitler die Soldaten aus. Immer jünger werden die Schüler, die man schlecht vorbereitet und ausgerüstet in den Krieg schickt. An einem einzigen Tag fallen drei Klassenkameraden von Michael Ende. Schließlich bekommt auch der mittlerweile fünfzehnjährige Michael den gefürchteten Brief: Er zerreißt ihn, packt seine Sachen und flüchtet. Zu Fuß, per Anhalter und als blinder Passagier auf Lastwägen schafft er es bis nach München-Solln zu seiner Mama.
So verlässt er Garmisch-Partenkirchen das zweite Mal.
Bonus: Interview mit Gudrun Guizzardi, geborene Keltsch
Abbildung: Haus Roseneck @Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen