Die Unendliche Geschichte beginnt mit schlechtem Wetter
INTRO: Sie hören den Erlebnisweg EndeGAP, Station 1: Die Unendliche Geschichte beginnt mit schlechtem Wetter
TON: Regengeräusche Wolkenbruch, Gewitter
Na, wie ist das Wetter gerade? Ist der Himmel womöglich bedeckt, regnet es vielleicht sogar? Das wäre ein schöner Einstieg in diese Geschichte! Denn einem ordentlichen Wolkenbruch ist es zu verdanken, dass Michael Ende überhaupt geboren wurde. Wie das kam?
Im Sommer 1928 macht sich der junge surrealistische Maler Edgar Karl Alfons Ende in Hamburg auf den Weg, um sein Glück im Süden zu finden. Genauer gesagt reist er einem Mädchen hinterher, in das er unsterblich verliebt ist. Um ihre Tochter vor dem brotlosen Künstler in Sicherheit zu bringen, haben ihre Eltern sie in ein Internat nach Garmisch gesteckt. Als er das erfährt, reist ihr der siebenundzwanzigjährige Edgar umgehend hinterher.
Deshalb hat er weder Mantel noch Regenschirm dabei, als er in Garmisch aus dem Zug steigt. Eben hat er sein Zimmer in der Pension „Nirwana“ bezogen und will sich im Ort ein wenig umsehen, als es fürchterlich zu schütten beginnt. Edgar läuft ein paar Meter die Bahnhofsstraße hinab und flüchtet vor dem Regen in einen kleinen Laden. Nicht gerade die ideale Wahl für einen jungen Mann ohne das nötige Kleingeld: Dort werden nämlich Spitzen aus Arabien, Halbedelsteine und allerlei Kunsthandwerk verkauft. Aber egal, es ist trocken und warm, und außerdem wird Unterhaltung geboten: Die Geschäftsinhaberin hat ein Kapuzineräffchen namens Jonathan, das zur Freude der Kundschaft und zum Verdruss der Näherinnen überall herumturnt und alles durcheinanderbringt.
Scheinbar auch die Gefühle von Edgar Ende. Denn die Geschäftsinhaberin, die gefällt ihm irgendwie.
Luise, genannt Lise, Bartholomä stammt aus dem Saarland und hat sich nach einer Kindheit im Waisenhaus die Eigenständigkeit hart erkämpft. Sie war schon Lehrerin in Palästina und Krankenschwester im Ersten Weltkrieg. Jetzt betreibt sie zwei Läden in Garmisch mit mehreren Angestellten. Sie ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau Mitte Dreißig – und einsam.
Doch zum Glück hört der Regen an diesem Nachmittag in Garmisch einfach nicht auf. Und der Gast aus Hamburg, der ihr eigentlich viel zu groß und zu gutaussehend ist, will einfach nicht gehen. Sie schimpft ein bisschen mit ihm, was ihn wiederum schwer beeindruckt. So eine kleine Person, und so ein Temperament! Aber sie kann ihn ja schlecht davonjagen, der holt sich noch eine Erkältung!
Und so kommt er nach Ladenschluss mit in Lises Wohnung im ersten Stock des sogenannten Bunten Hauses. Dort zeigt Edgar Lise sein Skizzenbuch. Sie bieten sich das Du an, trinken Tee und unterhalten sich bis ins Morgengrauen über Kunst, Literatur und Philosophie. Die Chemie stimmt: Lises Einsamkeit und Edgars unglückliche Liebe zur Internatsschülerin sind Geschichte. Noch im Herbst verloben sie sich, am 22. Februar des Folgejahres wird geheiratet.
Und pünktlich neun Monate später, am 12. November 1929 um Viertel nach Fünf am Nachmittag, erblickt ihr einziges Kind Michael Andreas Helmuth Ende das Licht der Welt.
Hier im sogenannten Bunten Haus, das Anfang der Achtziger Jahre abgerissen wurde, hatte die kleine Familie Ende zwar eine wirtschaftlich knappe, menschlich aber sehr gute Zeit.
Übrigens, drehen Sie sich einmal um und entdecken Sie selbst, wie sich manchmal der Kreis der Geschichte schließt: Beinahe an derselben Stelle wie einst Lises Laden gibt es mit dem Schmuckatelier Dörre heute auch wieder ein Geschäft für schöne Dinge.
Und selbst wenn es gerade nicht regnen sollte – schauen Sie doch einmal hinein! Möglicherweise treffen Sie da drinnen ja jemanden ganz Besonderen. Hier hat ja schließlich schon einmal eine unendliche Geschichte begonnen …
Abbildung: Buntes Haus, @Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen