Wir haben uns mit Dr. Floriana Seifert unterhalten, einer ausgewiesenen Michael-Ende-Expertin.
Die gebürtige Garmisch-Partenkirchnerin begeistert sich seit ihrer Kindheit für Michael Ende und sein Werk. Sie studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Theaterwissenschaften. Im Rahmen ihrer Promotion widmete sie sich dem Werk von Michael Ende und kam damit später auch in beruflicher Hinsicht in Berührung. Seit 2015 betreute sie das Archiv des Michael-Ende-Nachlasses und arbeitete ab 2018 für die Autoren- und Verlagsagentur AVA international. 2016 wurde sie Mitglied im Kulturbeirat des Marktes Garmisch-Partenkirchen und betreut das Archiv des Michael-Ende-Nachlasses für den Markt.
Was begeistert Sie an Michael Endes Werk?
Michael Ende benutzt eine starke Bildsprache und kreiert mit ihr phantastische Welten. In diese bin ich schon als Kind liebend gerne eingetaucht, und das hat sich bis heute nicht geändert. Seine Sprache und die Art des Erzählens sind einzigartig. Sein Werk ist lehrreich, auch wenn Michael Ende nie vor hatte belehrend zu sein. Dennoch vermittelt er seinen Leser*innen eindringlich, dass es höchste Zeit ist, unser Bewusstsein für die Welt und die Menschlichkeit zu schärfen.
Kann uns das Buch Momo also auch 50 Jahre nach seinem Erscheinen noch Neues erzählen?
Die Aktualität von Momo ist enorm. Sie nimmt sogar immer mehr zu, und das bedeutet nicht unbedingt Gutes. Momo ist in meinen Augen eine Aufforderung an die Menschen, die negativen Parallelen zwischen der im Buch geschilderten Realität und unserer Lebenswirklichkeit zu reduzieren. Natürlich ist unser Radius begrenzt und kein einzelner Mensch kann die negativen Strukturen unserer Gesellschaft oder die Schäden des Planeten allein beheben, aber jeder kann seinen Beitrag dazu leisten.
Das Mädchen Momo aus dem Roman ist das beste Beispiel dafür. Sie steht mit ihrem engsten Umfeld in Kontakt, kann so wunderbar zuhören, dass die Menschen gesund davon werden, und sie ist im Einklang mit der Natur und ihrer Lebenswelt. Sie stellt sich ihren Feinden, den Grauen Herren, die Schnelllebigkeit, Hetze und die Gefahr um die Menschheit mit sich bringen. Momo hat mächtige Freunde, aber ihre größte Kraft liegt in ihr selbst. Michael Ende bietet in Momo keine Patentlösung zur Weltrettung an, sondern er lässt ein kleines Mädchen zur Botschafterin hierfür werden.
Das regt zum Reflektieren an, zum Weiterentwickeln der Gedanken, zum kreativen und phantasievollen Denken. Das ist eine neue Form des Denkens, die nicht immer rational sein muss. Aber ich glaube, wir brauchen in Zukunft tatsächlich ganz neue Arten des Denkens.
In der Ausstellung „Geh doch zu Momo“, die ab Juli im Werdenfels Museum zu sehen ist und die Museumsleiterin Dr. Constanze Werner und ich gemeinsam kuratieren, versuchen wir diese tieferen Schichten von Momo freizulegen und gleichzeitig alle, Erwachsene und Kinder, zu begeistern.
Was bedeutet Zeit für Sie?
Für mich hat die Zeit zwei Ebenen. Da ist zum einen die gewohnte Sichtweise auf Zeit. Die Zeit in der wir unser Leben in eine Struktur wie Stunden, Tage und Jahre aufteilen. Es gibt noch eine zweite Ebene, nämlich die Beschaffenheit der Zeit selbst. Egal wie der Mensch mit ihr umgeht, die Zeit hat immer ihren Rhythmus, nur unsere Sichtweise lässt sie zäh, schnell, kurz, lang oder auch leicht wirken. Das ist es auch was Beppo, die Figur aus dem Buch Momo vermittelt. Er zeigt, wie es funktionieren kann wieder bewusster mit der Zeit umzugehen. Richten wir uns danach fühlen wir uns nicht durch die Zeit eingeengt, sondern können uns in ihrem Rhythmus frei bewegen, indem wir diesen Rhythmus zu unserem machen.
Was hat Sie dazu bewogen nach vielen Jahren wieder in Ihren Geburtsort Garmisch-Partenkirchen zurückzukehren?
Garmisch-Partenkirchen bedeutet für mich Ruhe. Mein Mann und ich haben gerne in der Großstadt gelebt, aber als Familie mit Kind sehen wir unsere Zukunft ganz klar hier. Wir fühlen uns sehr wohl, die Entschleunigung beginnt sofort. Die gute Luft, die Ruhe der Berge und die ausgesprochen schöne Landschaft lassen einen Frieden und Dankbarkeit spüren.
Mitunter fällt es uns Menschen schwer, uns im Alltag Zeit für uns selbst zu nehmen. Wie gelingt es Ihnen am besten?
Am besten nehme ich mir Zeit für mich, wenn ich mich wieder „hören“ kann. Dazu kann es gerne mal ruhig sein, muss es aber nicht. Hierfür bin ich gerne mal allein, aber auch das ist nicht notwendig. Am besten nehme ich mich wahr, wenn ich bei mir bin und mir darüber bewusst bin. Natürlich ist das im Alltag schwierig umzusetzen, aber ich versuche es, damit ich mir nicht davonlaufe. Wenn es klappt, dann helfen sogar ganz alltägliche Handlungen wie Zwiebelschneiden dabei sich zu erden und im Moment zu sein.
Michael Ende ist eine tragende Säule im kulturellen Leitbild des Marktes Garmisch-Partenkirchen. Wie können wir es schaffen, diesen „Leuchtturm“ noch heller und nachhaltiger zum Strahlen zu bringen?
Leben und Werk von Michael Ende wird in Garmisch-Partenkirchen schon seit Jahrzehnten gedacht und gepflegt. Es wurde ein solider Grundstock durch die Michael-Ende-Tage während des Kultursommers und das vielschichtige Engagement in den vergangenen Jahren gelegt. Das Jubiläumsjahr zum 50ten Geburtstag von Momo ist nun eine wichtige Initialzündung für neue und nachhaltige Projekte, wie zum Beispiel den Michael Ende Weg, die Überarbeitung des Kurparks etc. Bei den Vorbereitungen für dieses Jahr war es schön zu sehen, dass die Aufforderung: „Es kann wirklich jeder mitmachen“, aufgegangen ist. Der Stoff von Michael Endes Werk ist umfangreich und noch lange nicht erschöpft. Ich baue darauf, dass wir in den nächsten Jahren mit der Ideenfindung und Umsetzung weitermachen werden.